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esther stern & the stained fingers collective

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 Texte 2022 -

Esther Stern

 
 
 

Übers dableiben und weggehen

Meine Welt hat sich schon früh auf eine komische Art und Weise getrennt

Meine soziale Welt meine ich

Ihr musst wissen ich bin nämlich von da

Da geboren wo wir jetzt sind

Wie So viele hier und auch ganz viele nicht

Es gibt nämlich die die dableiben und die die weggehen

Da wo sie her sind, da wo sie geboren sind, wo sie aufgewachsen sind

Aber da wo man her ist ist nicht immer da wo man sein will

Und die die immer dableiben wollten haben immer anders gelebt als die die weggehen wollten

In meiner Wahrnehmung zumindest

Sie haben hier ein Leben gebaut

Wurzeln geschlagen und Dinge verwirklicht

Freundschaften gepflegt und alles zumindest ein bisschen ernst genommen

Die die wegwollten waren da anders

Sie wollten nun mal weg und demnach nicht da sein

und so sind viele Dinge dann halt auch nicht ganz so wichtig

Ich war immer Weggeher

Mit 14 bin ich weggegangen

Und dann lange Zeit nicht wirklich zurück gekommen

Auch wenn ich da war war ich Weggeher

Und andere sind auch irgendwie zu weggehenden Personen geworden

Im Laufe meiner Jugend

Langsam aber stätig sind hat sich eine Linie gezogen zwischen Menschen die weggehen und Menschen die dableiben

Denn wenn man weggehen will sind die Sachen die da sind auf eine ganz andere Art und Weise relevant als für die die dableiben wollen

Und ich wusste nicht wieso ich Weggeher war aber ich wollte auf keinen Fall dableiben

Und ich konnte auch weggehen

Und war auch weg

Zurest nur kurz und im Kopf halt

Und dann bin ich wirklich weggegangen

Ich war nun mal weggeher

Und dann irgendwann plötzlich wollte ich zurück

Und ich bin auch zurückgekommen

Aber als ich dann da war waren ja nur die da die da geblieben sind

Die ganzen anderen Weggeher:innen waren ja weg

Aber ich war wieder da

Aber da ich kein Dableiber war und ja weg war

War ich irgendwie alleine da

Bis ich dann andere gefunden hab die auch weggegangen sind

Andere Weggeher:innen die weggegangen sind von dort wo sie einmal waren

Und dann waren sie da und ich war da

Und irgendwann war ich lang genug da um mich auch wieder zu denen verbunden zu fühlen die von Anfang an da geblieben sind

In meiner Familie ist das weggehen und das dableiben auch definierendes Thema

Die meisten sind ja weg

Also nicht da

Und wenn sie nicht da sind sind sie wo anders und man sieht sie nicht so oft

Denn sie sind ja nicht da

Da sind eigentlich nur meine Eltern und mein Bruder und meine Tante

Alle anderen sind weg

Mein Papa ist nie weggegangen

Der war immer Dableiber

Und mein Bruder ist daweil auch Dableiber

Und meine Mama und ihre Schwester wurden einmal zum weggehen gezwungen und dann waren sie wieder da und sind auch immernoch da

Mein Grossvater ist damals sehr weit weggegangen

Mit seinen Eltern und seiner Schwester und seinem Bruder und vielen anderen

Wie viele andere konnten sie sich nicht entscheiden ob sie weggehen oder da bleiben

Und meine Oma ist ein bisschen weggegangen

Und dann ist mein Opa woanders hin gegangen und dann wieder zurück gekommen

Und seine Schwerster ist weggegangen

Sie ist Weggeherin

Und sein Bruder ist zurück gekommen und dann dageblieben und dann auch ein bisschen weggegangen

Aber nicht so weit weg also war er ja fast da

Aber mein Opa ist zurückgekommen

Wirklich zurück gekommen

Vielleicht wäre er ja ein Dableiber gewesen

Ich war einmal Weggeher

Aber ich hätte auch dableiben können

Ich hätte ein Dableiber sein können

Aber die meisten Menschen suchen sich das nicht aus

Mein Großvater musste weggehen obwohl er vielleicht gern dageblieben wäre

Vielleicht wäre er ja ein Dableiber gewesen

Viele müssen dableiben obwohl sie gerne weggehen würden

Und wir brauchen eine Welt in der jede Person weggehen kann und auch dableiben kann wenn sie es will

so wie ich

Ich war mal ein Weggeher aber ich hätte auch ein Dableiber sein können

Ich bin ein Zurückkommer

 
 
 

Ich sehe alles und auch nichts

Ich liebe dich

Ich hasse dich

Ich fasse mich

Ich lasse mich

Ich raste nicht

Ich mache dicht

Ich dachte schlicht

Ich sehe licht

Ich sehe rot

Ich sehe blau

Ich sehe grün und gelb und grau

Ich sehe dich

Ich sehe mich

Ich sehe alles

Und auch nichts

Ich sehe wolken wind und Meer

Ich liebe dich und mich so sehr

Ich stehe auf und geh hinab

In mein selbst gemachtes grab

Ich geh hinein und leg mich nieder

Ich tauche ein in dein Gefieder

Das mich wohl und warm umgibt

Wie jemand der mich innig liebt

Und du, du stehst oben am rand

Du winkst mit deiner schönen Hand

Du ziehst Streichhölzer aus der Tasche

Und sieht zu, alles wird Asche

Alles was mal ich war

Alles was mal du warst

Alles was mal schön war

Alles was mal gut war

Alles wird eingetaucht

Momente plötzlich eingeraucht

Unter tiefen schwarzen Nebel

Gefesselt und geknebelt

Das ganze Loch vollgefüllt

Gedanken zusammengeknüllt

Alles vom Dunste verhüllt

Kommt herausgebrüllt

Ich liebe dich

Ich hasse dich

Ich fasse mich

Ich lasse mich

Ich sehe du sprichst

Das du auseinander brichst

Das du dich selber bestichst

Voller stolz und dich ängstlich

Sehe alles und auch nichts

Ich sehe violett und weiß

Ich sehe den triefenden schweiß

An der Seite des Gesichts

Ich sehe alles und auch nichts

Ich seh du sprichst

Ich breche aus

Ich krieche die Treppe hinauf

Lasse alles seinen Lauf

Atme ein und atme aus

Ich wache auf

 
 
 

Wundersud

Den Körper so heiss gekocht

Bis das reale aus mir weicht

Wie ein Hummer unterjocht

Schön und fürchterlich zugleich

Wer trägt die Krone der Wirklichkeit

Die Augen welche Bilder zeigen

Die Haut die immer gleich verheilt

Während andere alles totschweigen

Die Szenen die ich so sehr meide

Darstellen wie ich mich verkleide

Wie ich mich bedeck mit Seide

Während ich es doch erleide

Darstellen ich mich verrenke

Mich tief in mein Unglück senke

Alles was ich fühl zerdenke

Und mir selbst nur Mitleid schenke

Aber da sind doch auch Borsten

Wie bei der Raupe Nimmersatt

Mein Gehirn jetzt doch durchforsten

Umgedreht wird jedes Blatt

Alles anders vieles schlechter

Vieles besser vieles echter

Doch mir ist es so ergangen

Wie ich habe angefangen

Nicht ungewünschtes gleich vernichten

Sondern erstmal sprießen lassen

Warten welche sich verdichten

Und welche plötzlich doch verblassen

Verweilen bis es weiter geht

Die Ellipse die sich dreht

Deren Bahn zu kippen scheint

Welches doch nur sie meint

Die sich meistens selber heilt

Sich ständig selbst verurteilt

Alles erledigt bevor es eilt

Und doch auf der Spur verweilt

Alles was man gießt wächst auch

Selbst wenn man es nicht fassen kann

Doch urplötzlich meldet dich mein Bauch

Als ich versunken bin in meinem Bann

Doch noch bevor der Satz vollendet

Ehe ich den Punkt bedacht

Hat er sich komplett Entfremdet

Das Tor versperrt, höllisch bewacht

Und so gleite ich davon

Nun fern vom Sud in dem ich schwomm

Zurück in der warme Suppe

Gedanken aus der Krabbelgruppe

Weiches Wasser das mich kühlt

Aus Krustentier wird Gänsehaut

Die sich plötzlich anders anfühlt

Bewusstsein wieder aufgebaut

Und der Magen treibt mich hinaus

Aus der wahren Wunderlacke

Ideen abgestellt wie im Parkhaus

Wartend bis ich sie fertig backe

Doch eines ist doch geblieben

Ganz hinten in meinem Kopf

Sehr merklich aufgeschrieben

Trotz Gedanken an den Topf

Internationale Studien beweisen

Wir Menschen gehen doch in Kreisen

Herum um die Königin der Realität

Welche doch aus Instinkt entsteht